Soweit vorhanden, sollen hier nicht nur die Briefe von „Oma Rüchel“ (Bertha 4.4) wieder gegeben werden, sondern auch die ihrer Geschwister. „Opa Rüchel“ (Martin 4.3) hat nicht gern geschrieben. Von ihm sind keine Zeilen erhalten geblieben. Mehrere Briefe gibt es aber von Tante Frieda, die nach dem Krieg Annemarie und später auch die Rüchel-Großeltern in Altdöbern aufgenommen hat. Die Zusammenhänge zwischen den Adressaten sind in der Chronik auf den Seiten zu August Stoeckmann (3.7) und Mathilde Treptow (3.8) und Martin Rüchel (4.3) und Bertha Stöckmann (4.4) beschrieben.
Die Süterlin-Schrift vieler folgender Briefe ist für einen, der diese Schreibschrift nicht zu schreiben gelernt hat, oft schwer zu entziffern. Daher enthält die Übertragung in die Maschinenschrift oft einige Lücken und sicherlich auch Fehler. Korrekturhinweise werden dankbar entgegen genommen.
Postkarte vom 29.5.1913 von Gerhard Stöckmann (Bruder von Bertha 4.4) nach Hause an seine Schwester Frieda
Rummelsburg, den 29.05.1913
Liebe Schwester!
Bitte, teile den lieben Eltern doch mit, daß ich das Geld erhalten habe. Ich sage Euch dafür meinen herzlichsten Dank. Jetzt habe ich doch wenigstens die Schuld los. Am 16. Juni werden wir wahrscheinlich einen Ausflug nach Stolpmünde machen. Dann kann ich vielleicht noch auf ein paar Augenblicke zuhause bleiben. Es ist aber noch nicht ganz genau bestimmt. Heute war hier ein großes Feuer. Nun seid herzlich gegrüßt von Eurem dankbaren Sohn Gerhard. …
Brief vom 29.11.1944 von Bertha 4.4 an ihre Tochter Annemarie 5.2
Mittwoch d. 29.11.44
Mein Geliebtes!
2 Karten und Brief erfreuten mich heute ungemein. Herzlichen Dank mein Kind. Der Brief war offen, das wunderhübsche Bild Gott lob drin. So nett und natürlich siehst du auf keinem Bilde aus und dein Kamerad auch so lieb.Es machte wohl das Glück, das Ihr beide so gut getroffen seid. Darf ich es aufstellen? An Herrn Wöhl sende ich ein Päckchen in deinem Namen. Was steht uns noch bevor geliebtes Kind? Bis 11 Uhr waren wir bei Fanks. Nachmittags war ich im Walde und löste Pappa ab im Holzschlag. Davon tun mir die Arme weh. Immer wieder bin ich so froh das du nicht hier auf dem Strande geblieben bist. Diese Mädchen fühlen sich hier sehr wohl, nur eine Moral herrscht, die einen erschüttert. Brunhild tut mir immer leid, daß sie ihre besten Jahre hier verleben muß. Miekelein, sei deiner Mutter nicht böse das ich heute am Freitag Morgen erst wieder schreibe, ich konnte einfach nicht. Gestern schlachteten wir Beckmanns Gänse, von 2 Uhr bis 10 Uhr waren wir dort. Nun stand ich heute Morgen um 5 Uhr auf packte für dich ein Päckchen und schrieb diesen Brief fertig. Ich lege dir 2 braune Marken ein, schickst du an Herrn Wöhl 2 Päckchen 100 gr. Pol… Paul ließ mir keine grüne Marke ab. Von Ernst, die sandte ich an den Jungen. Diese Marken gab Eva mir. Nun wird es dir nicht recht sein. Mir selber tut es auch leid. Leb wohl! Gott beschütze dich. In LIebe grüßt dich deine Mutter
Ernst schrieb doch letztes Mal vom 16. d. M.
Brief vom 8.1.1945 von Oma Bertha 4.4 an ihre Schwester Frieda kurz vor Kriegsende
Salesker-Strand vom 8.1.45
Meine liebe gute Schwester,
Inzwischen wirst du ja auch meinen Brief erhalten haben! Heute bekam ich von dir und Annemarie einen lieben langen Brief. Dir danke ich so recht von Herzen für deine mir so wohltuenden Zeilen, deinem Annemielein danke ich auch sehr für ihre ausführliche Schilderung. Heute kam ein Brief vom 15. Nov. zurück, so fast alle Tage. Manchmal wird mir so Angst, das ich nicht weiß wohin. Wenn mir das Schicksal den letzten Jungen nimmt, dann weiß ich nicht. Annemarie schreibt auch es ist dauernd Alarm, sie fürchten einen Angriff. Friedchen, wenn ich ehrlich sein will ich habe keine Weihnachtsstimmung gespürt, es machte wohl das Einsame um mich. Sylvester ging Martin und ich um 8 Uhr ins Bett. Das Mädchen ging schon Sonnabend nach Hause. Ich hatte solche Schmerzen im Munde und Kopf. 5 Zähne wurden mir gezogen, ein Stuben brach zweimal ab. Nun kann ich so schlecht essen. Neujahr waren wir auch allein. Wir sind nirgends gewesen. Mittwoch will ich mit Frau Fank mitfahren nach Saleske. Dann will ich zu Tante Anna heran gehen. Ich freue mich mit euch über Euer Fröhlichsein. Es ist die köstlichste Zeit, wenn man die Kinder um sich hat. Annemarie kommt über 14 Tage zu Besuch. Das sind dann die Festtage. Sonntag schlachten wir unser Schweinchen. Heute kaufte ich mir noch 4 Ztnr. von gefrorenen Kartoffeln. Sonst hätte ich bei die Miete gehen müssen. Du schreibst noch vom armselichen Paket und das barg so viel wunderbares das ich überglücklich war. Annemarie hast du auch so beschenkt und ich kann alles nur mit einem einfachen Dankeschön quitieren. Mir tut es nur so leid das unser Jung nicht ein Päckchen bekommen hat, alles erfreut andere, ich gönne es ihnen. wenn ich nur wüßte wo mein Jung wäre. Leb wohl! Gott beschütze dich und dein Haus.
Es war vor 2 Jahren eine köstliche Woche bei Dir und den Deinen. Gott vergelt es euch.
Brief vom 7.2.1945 von Oma Bertha 4.4 an ihre Tochter Annemarie kurz vor Kriegsende
Mittwoch, d. 7.2.45
Mein mir so fernes Kind!
Mich verzehrt die Angst und Unruhe über dich geliebtes Kind. Nicht ein Lebenszeichen von dir. Gertrud Meyer aus Saleske ist schon hier, kam auch aus Stettin. Miekelein kannst du nicht kommen? Das wir doch in den schwersten Stunden die über uns kommen zusammen sind. Ich gebe diesen Brief mit nach dem Schießplatz. Von hier bekomme ich keine Post weg. Nach Schlawe fährt gar kein Zug. Gestern abend bekam ich solche Angst, ich ging in den Wald bis zum Richtsteig und dachte du müßtest kommen. Pappa kam totkrank zurück vom Volkssturm, er ist wieder aufgerufen, aber er kann nicht. Miekelein du bist nun noch allein und sollt ich dich auch nicht mehr sehen? Behüt dich Gott mein geliebtes Kind, schreibe wenn es geht. Es küßt dich innig deine Mutter.
Pappa sagt, du sollst zu Fuß los wandern.
Brief von Tante Frieda an Nichte Annemarie vom 19.1.1946, die nach Brunos Besuch in Altdöbern mit ihm zu seinen Eltern reiste
Altdöbern, den 19.1.1946
Mein liebes Annemariechen!
Herzl. Dank für Deinen lb. Brief, den wir gestern erhielten, geschr. 4,1. u. sage Dank für den heutigen vom 8.1.46. Diese Briefe, bes. der heutige ist ja nicht lange gegangen – 11 Tage. Vor wann war denn unser Brief? Du mußt schon unseren bekommen haben? Bekamst Du das Telegramm vor Weihnachten? Nur das jetzige, in dem ich Dir künde, daß Mutter und Anna in Saleskerstrand leben? Ach Du bekommst ja so viel Post, Annemariechen, so war es doch wohl noch nicht, daß sich der Sturm gelegt hat. Doch ich schieb dir schon davon. Erlös den H. bitte bald aus seiner quälenden Ungewißheit. Ich glaube doch, daß er es sehr gut und aufrichtig meint. Vorgestern schrieb Lotte Mayer. Schade, daß du die richtige Adresse nicht hier bekamst. Herr Brandt war vielleicht über die Grenze gekommen. Er fuhr am 9.1. u. schrieb mir einen Brief aus ?Rizzach am 18.1. Nun muß er schon wieder an die Heimreise denken. Der Wolfgang, der recht krank war (Durchfall), ist wieder ganz gesund, dafür liegt Gerda mit Erkältung zu Bett. Hoffentlich wird nichts Ernstes daraus. Gestern hatte Onkel Bauer Geb. Frau Hoy und ich waren abends ein bißchen da. Frau Bauer hatte am 4. Geb., da war ich mit Herrn Brandt da, gab es für jeden ein Tellerchen Kuchen. Gestern hatten sie nur von zwei Kartoffel… . Onkel B. war mehr als beglückt, daß wir überhaupt an ihn dachten. – Die Kinder, ach Christel holt immer Bücher aus der Leihbücherei u. A. liest mir vor. – Wir hatten zweimal Wäsche. Bald ist alles trocken. Montag wollen wir noch einmal waschen. Schade, daß das Seifenpulver so knapp ist. Eben ist der Feger da um den Kessel nachzusehen. Wenn wir heizen, ist Annas Schlafstube voller Rauch. Doch nun zu dir, Annemariechen, daß Schwester Friedel Recht behalten würde und du nicht mehr wieder kämst, hätte ich nicht gedacht. Christel geht zur Post, darum Schluß.
Innigste Grüße dir u. allen die dich lieb haben
Deine Tante Frieda
siehe unter Briefe der Wöhl-Großeltern auch den ersten Brief von Richard an Bertha und Martin vom 20.7.1946, als wieder Briefe zwischen den sowjetisch besetzten Zone und dem jetzt polnischen Pommern befördert wurden
letzte Postkarte vom 29.8.1947 aus Saleskerstrand von Bertha 4.4 an ihre Kinder
siehe unter Briefe der Wöhl-Großeltern auch den Brief von Richard, den er am 18.9.1947 an Bertha und Martin schrieb, die nach der Ausweisung aus Pommern in einem Auffanglager westlich der Oder untergekommen waren
siehe unter Briefe der Wöhl-Großeltern auch den Brief von Bertha, den sie am 14.4.1952 an ihre Kinder schrieb, als sie bei Martha in Schwerin anläßlich der Beerdigung von Richard war
Brief von Bertha 4.4 an Enkel Kai und seine Eltern vom 13.9.54 mit einem Märchen
Montag d. 13.9.54
Mein herzliebes Kailein!
Eine große Sehnsucht nach meinem kleinen lieben Bübchen u. unserem süßen Mautzchen packt mich. Nun will ich Dir das Märchen erzählen, was ich dir zu schreiben versprochen habe.
Einem kleinen Buben wie Du und einem kleinen Mädel wie Ritamautz war die Mamma gestorben, nun sollte der Pappa für alles sorgen, das die Kinderlein Schuhe, Strümpfe, Hemdchen, Röckchen u. Höschen ebenso auch etwas in den kleinen hungrigen Magen bekamen, denn die beiden Kinder hatten immer Hunger weil Schmalhans Küchenmeister war. Schmalhans ist nämlich ein fast leerer Küchenschrank, kaum Brot, Kartoffeln fast garnicht u. Butter oder Wurst überhaupft nicht. Da kam eines Tages ein alter armer Mann zu dem Pappa und bat um ein Stückchen Brot. Er hatte großen Hunger, der Pappa gab von dem Wenigen was er besaß dem armen Mann damit er satt wurde. Wie der Mann fort ging, gab er dem Pappa eine Bohne. Die war nicht größer wie eine Kaffeebohne. Die sollte der Pappa in die glühende Asche wefen. Das tat der Pappa auch und siehe da, aus der Asche aus der Bohne wuchs ein großer Baum, er wuchs und wuchs aus dem Hause aus dem Schornstein heraus bis an den Himmel. Weil der Pappa nichts mehr verdiente, wurde ihnen das Brot alle. In seiner Not kletterte er auf den Baum, immer höher u. höher, bis er an die Himmelstür kam, er klopfte zaghaft an, da machte Petrus, das ist der Diener vom lieben Gott, ihm die Türe auf und fragte, was er wünschte. Da erzählte er ihm seine Not, das die Kinder großen Hunger hätten. Da gab Petrus ihm ein weißes Tischtuch. Das sollte er auf den Tisch legen und gleich würde er zu Essen haben. Glücklich stieg er den Baum herunter. Wie er unten ankam, deckte er das Tischtuch auf den Tisch u. siehe da, die schönsten u. besteb Speisen standen auf dem Tisch. Da jubelten aber die Kinder. Nun konnten sie sich so richtig satt essen. Eines Tages ging der Pappa zu der Nachbarsfrau u. erzählte ihr ganz stolz, das die Kinder u. er nicht mehr zu hungern brauchten. Da bat ihn die Frau er möchte ihr doch das Tischtuch zeigen. Da tat er auch. Diese falsche Frau tauschte das Tischtuch um. Wie der Pappa nach Hause kam, wollten sie alle essen. Leider kam nichts mehr auf den Tisch, weil das Tischtuch vertauscht war. Da ging das Hungern wieder los. Da wußte der Pappa sich keinen anderen Rat, stieg wieder auf den Baum, um Petrus zu bitten um neue Hilfe. Petrus wurde etwas böse, daß er schon wieder kam, aber die hungernden Kinder taten ihm leid. Da gab er ihm einen Esel. Wenn der Esel groß machen mußte, kamen lauter Goldstücke hervor. Es waren immer so viel. Weil er so am war, hatte er wenig Gefäße. Da ging er zur Nachbarsfrau und borgte sich eine große Schüssel. Das fil der Frau natürlich auf. Sie fragte den Pappa, wo er mit einmal wieder so viel Geld her hätte. Da erzählte er , daß der Esel für Geld sorgte. Eines Abends führte sie ihren Esel in den Pappa seinen Stall u. nahm den Goldsesel mit. Wie der Pappa in den Stall kam und die Schüssel unter hielt, sah er das es mit dem Gold ein Ende hatte. Die Armut begann von neuem. Schweren Herzens entschloß er sich wieder mal zum Hilfegang zu Petrus. Er kletterte wieder auf den Baum und klopfte bei Petrus an. Da wurde Petrus böse und sagte, dies einemal wollte er ihm aus der Not helfen und gab ihm ein feines Stöckchen. Mit dem sollte er zu der Nachbarsfrau gehen und das Stöckchen sie so lange hauen lassen, bis sie ihm das vertauschte Tischtuch u. den vertauschten Esel heraus gäbe. Wenn der Pappa noch einmal käme, mache er nicht mehr auf. Gleich wie der Pappa vom Baum stieg, ging er zur Nachbarsfrau u. zeigte ihr den Stock und sagte, sie solle ihm das Tischtuch und den Esel wieder geben. Da wurde die Frau sehr böse und sagte, was ihm einfiele, sie hätte doch dem Pappa seine Sachen nicht. Da nahm der Pappa das Stöckchen und sagte, er würde es ja sehen, ob sie die Sachen vertauscht hätte oder nicht. Das Stöckchen tanzte flott auf der Frau ihrem Rücken, sie schrie, jammerte u. bat, er möchte das Stöckchen doch fortnehmen. Er blieb fest, solange solle der Stock hauen, bis er sein Eigentum wieder hätte. Wie sie die Schläge garnicht mehr aushalten konnte, da lief sie hin u. holte das Tischtuch un. den Esel, aber das Stöckchen tanzte bei jedem Schritt, die sie tat auf ihrem Rücken. Wie der Pappa beides hatte und sich überzeugt hatte, daß beide heile, das Geschenkte von Petrus war, nahm er den Stock von dem Rücken. Der Pappa ging zu seinen Kindern, um ihnen wieder zu essen zu geben. Nun hatte er zwei Teile, das Tischtuch, daß zu jeder Mahlzeit Essen auf den Tisch brachte und den Esel, der Geld für alle anderen Sachen: Kleider Schuhe, Höschen, Röckchen und sonstiges, was ihnen Not tat, sorgte. –
Gefällt Dir das Märchen? Nächstes mal schreibe ich Dir das vom Osterhasen auf. Mamming liest es Dir bestimmt vor. Recht lieb und innig küßt Dich mein Bübchen u. klein Ritamauz
Eure Oma
Mein liebes Annemiechen mein lieber Bruno!
Von Mutti bekam ich gestern eine Karte. Sie schreibt Anfang Okt. will sie uns besuchen. Sehr freue ich mich auf ihr Kommen. Ob von der Übersiedlung zu Euch etwas wird? Inzwischen ward Ihr wohl im Westerwald (?). Ich schickte doch ein Päckchen mit einer Sammeltasse, Ritas vergessene Schühchen an Euch. Es war bevor ich nach hier reiste. Von hier sandte ich ein kleines Geburtstagsgeschenk für Mautzi. Freitag fahre ich wieder nach Hause. Onkel Fritz Heilmethode hat Erfolg, nur die Angst quält mich noch immer. Ihr lieben Kinder! Ich habe es hier wirklich sehr gut. Tante Elsbett sorgt für gutes Essen. Gottlob sie haben auch alles genug. Dieses Glück in der Wirtschaft gönnte ich Tante Frieda. Ich muß aber sagen daß Onkel Fritz und Tante Elsbett äußerst fleißige Menschen sind. Nun gute Nach, Ihr lieben Kinder. Schreibt mir doch ob Kailein sich über das Märchen gefreut hat.
Innig grüßt Euch Beide Eure Mutter
Von meinen lieben Gastgebern viele Grüße