Spuren vom polnischen Zalesin

Auf polnischen Internet-Seiten finden sich noch Bilder und Berichte über Salesker Strand bzw. Zalesin aus der Zeit nach 1947 zunächst als kirchliche Behinderteneinrichtung, dann als Teil einer landwirtschaftlichen Produktionsgemeinschaft, bis die Ortschaft danach innerhalb des erweiterten Truppenübungsplatzes Ende der 1960er Jahre weitgehend verschwand.

Besonders interessant ist ein Besuchsbericht von 1955 aus der polnischen Zeitschrift „Jerzy Zawieyski, Dziennikniki, Bd. 1, Ośrodek KARTA 2011, S. 121-122“, der in einem Beitrag des Pommerschen Schatzsucher-Erkundungsforum zitiert wurde. Mit Hilfe von Google ins Deutsche übersetzt, lautet der Inhalt in etwa:

8. Juli 1955, Zalesin-Ustka

In Zalesin betreiben die Samariterinnen eine Einrichtung für geistig behinderte Kinder. Für ihre Bildungseinrichtung benutzen sie das gesamte Dorf, das von den Deutschen verlassen wurde. In jedem Haus werden mehrere Kinder von ihrer Schwester betreut – sie bilden eine eigene Familie mit eigener Küche, eigenem Garten und Bauernhof. Die Arbeit der Schwestern mit so schwer behinderten Kindern geht über alle Vorstellungen normaler menschlicher Arbeit hinaus. Aus diesen unglücklichen Kindern kann man nichts herausholen, ihnen nichts beibringen, und sie sind nicht immer in der Lage, die einfachsten Anweisungen zu befolgen. Nur Nonnen, die in dieser hoffnungslosen Arbeit einen tieferen und höheren religiösen Sinn sehen, können durchhalten, Barmherzigkeit zu erweisen.
Die weniger behinderten Kinder gaben anlässlich meiner Ankunft eine Art Show. Sie tanzten, sangen und spielten. Ich schaute mit zusammengepresstem Herzen zu und habe keine Worte, um meine Bewunderung für die Schwestern auszudrücken, die es geschafft haben, den Kindern zumindest ein Minimum an Bewegung und Gesang zu entlocken.
Die Oberin des Hauses ist Mutter Benigna, Mitbegründerin der Samaritergemeinde. Die Geschichte von Mutter Benigna ist schockierend und überraschend. Sie war eine sehr prominente, berühmte Schauspielerin, bekannt unter dem Namen Stanisława Umińska. Sie spielte brillant Puk in Sommernachtstraum, Blind in Świerszcz hinter dem Schornstein und Nika in Słowackis Maria Stuart. Ich habe sie in diesen Rollen gesehen und werde nie den großartigen Eindruck vergessen, den sie mit ihrem Spiel gemacht hat. 1924 ereignete sich in ihrem Leben eine schreckliche Tragödie, die nicht nur Polen, sondern die ganze Welt schockierte. Umińskas Verlobter, ein talentierter Schriftsteller und Bildhauer Jan Żyznowski, litt an einer schweren Leber- und Nierenerkrankung und wurde von einem Chirurgen zur Operation nach Paris gebracht. Die Operation brachte keinen Erfolg, der Patient litt sehr, der Zustand war hoffnungslos. Żyznowski erduldete schreckliche Qualen, war unfähig, das Leiden zu ertragen. Er bat Umińska, sein Leben zu verkürzen. Umińska gehorchte ihm aus Liebe zu Żyznowski und befreite ihn mit einem Revolverschuss von der Todesqual.
Eine Sonderjury in Paris sprach die junge, talentierte Schauspielerin frei. Sie konnte wieder auf die Bühne kommen, durfte arbeiten und ihr großes Talent weiter entwickeln. Aber Umińska sah keine Möglichkeit, ihren vorherigen Beruf auszuüben. Der Schock war zu groß, zu tief. Sie trat als Gast in ein Benediktinerkloster in Frankreich ein. Sie verließ es bald. Sie kehrte in ihr Heimatland zurück und lernte hier die Gründerin der neuen Kongregation, Mutter [Wincenta] Jaroszewska, kennen und schloss sich dieser Kongregation der Samariterinnen an. Von da an wusste die Welt nichts mehr von ihr.
Heute habe ich Mutter Benigna kennengelernt, eine ehemalige großartige, großartige Künstlerin.  Sie hat sich nicht viel verändert und sie sah in ihrer klösterlichen Tracht wahrscheinlich noch schöner aus als zuvor. Sie ist wahrscheinlich schon über 60, aber sie scheint in den Dreißigern zu sein. Keine Spur von Falten, und ihre Augen sind jugendlich, schön, dunkelblau. Die Gewohnheit macht es etwas länger, sie ist größer als ich sie vom Theater in Erinnerung habe. Sie spricht leise, ein wenig hastig, und man spürt ihr ständiges Unbehagen. […]
Später kamen andere Schwestern, Priester kamen und Mutter Benigna ging irgendwo hin. Ich sah sie das zweite Mal, als ich mich verabschiedete. Kein Lächeln, nichts Oberflächliches, Trauriges, ein bisschen Kühle, aber ein höflicher Abschied – mehr nicht. […]

Die Fakten lassen im polnischen Wikipedia unter Stanisława Umińska (religiöser Name Benigna Umińska) auch auf deutsch, wenn man den Google-Übersetzer einschaltet, genauer nachlesen.

Ebenso interessant sind auch zwei Anfang 2021 im Internet erschienene Zeitungsartikel von Włodzimierz Lipczyński. In Zalesin, eine vergessene Siedlung in der Nähe von Ustka. Es hat eine Legende beschreibt er auch das „Familiendorf“, in dem Benediktiner-Ordensfrauen geistig behinderte Kinder von 1948 bis 1958 betreuten. Danach wird berichtet, dass die landwirtschaftliche PGR Duninow das Dorf Zalesin übernimmt und dann bis 1967 dort nur noch die zwei Familien Dowgiał und Jaskólski mit weiteren Angestellten wohnen, wie der Autor von einer heute noch in Zaleskie lebenden Jaskólski-Tochter erfahren hat. Während der anschließenden Zeit als Teil des Truppenübungsplatzes blieb von Zalesin nur noch der Friedhof erhalten, der 2004 von Heimatkundefreunden aus Ustka aufgeräumt und für Besucher hergerichtet wurde.

Der 2. Artikel Die Mission der Samariter im vergessenen Zalesin beinhaltet ein ausführliches Gespräch mit Schwester Margarita – Bogumiła Brzozowska – Historikerin und Sonderpädagogin der Kongregation in Niegów über Zalesin und die Geschichte des dort einst bestehenden „Familiendorfs“.