Der 1867 geborene Christian wächst zusammen mit seinem älteren Bruder Rudolf in der elterlichen Ackerbürgerei in Parchim auf. Seine große Tierliebe kann er nicht nutzen, sondern muß gegen seinen Willen Schuster werden, weil der ältere Rudolf den Hof erbt. Sicherlich konnte man nicht voraussehen, daß Rudolf den Hof vertrinken würde. Bei Christian wäre er in besseren Händen gewesen. Dieser fügt sich aber in sein Schicksal und bringt es zu einem ausgezeichneten Schuster, speziell für die Reitstiefel der Offiziere. Sein Schusterkollege Heinrich Bertram, der Sohn des adoptierten Glanzraben Philipp (2.7), bringt Christian mit seiner Schwester Luise zusammen. Christian nimmt keinen Anstoß an Luises unehelichem Kind Auguste. Immerhin ist sie eine tüchtige Schneiderin, die nicht länger abgekapselt auf Lewenberg leben möchte. Beide heiraten mit 31 bzw. 28 Jahren. Das nachfolgende Foto dürfte von der Silberhochzeit 1923 stammen:
Oma Wiesche (3.4) sagt immer wieder: “He wier ’n fein Kierl.” Aber auch vom Taternblut ist, wie erwähnt, die Rede. Luise soll sich als die weitaus stärkere erweisen. Christian stützt sich auf sie ab. Er erweist sich nur anfallweise als fleißig, was trotz seiner überaus großen Geschicklichkeit verwundert. Es muß wohl am Taternblut liegen: „He kickt lewer de Ahnten in ’n Mors“, sagt Luise nicht nur einmal. Christian hält sich Hühner, Tauben, Gänse, Enten, eine Ziege und einen Hund. Tiere erfüllen sein Leben.
Christian und Luise kaufen sich Bäcker Kuschors Haus am Totendamm in Schwerin, später Rostocker Str.15 und nach dem 2. Weltkrieg Goethestr. 86. Dort ist Platz für Christians Schusterei und noch mehr für Luises Schneiderei sowie die vielen Viecher. Christian kann sich – genauso wenig wie Wilhelm Wöhl – mit der Schusterei eine goldene Nase verdienen, auch kaum mit mehr Fleiß. Dafür geht Luises Schneiderei umso besser. Sie beschäftigt bis zu acht Näherinnen und macht sich die umliegenden Gutsbesitzerfrauen zur Kundschaft. Zwar sind diese säumige Zahler, geben aber Renomme. Sie ist zwar Schneidermeisterin, nennt sich aber Modistin. Woher mag sie nur ihre Großmannsallüren haben? Die Suche endet schon bei ihrem Vater, dem Glanzraben Philipp. Sie kann aber auch gut mit den Adligen umgehen. Bruno freut sich, wenn sie schon zu den Gutskindern sagt: “Wulln Komtesse sick mal rümmedreiden?“ (bei der Anprobe: Wollen Komtesse sich umdrehen?) Für Hausarbeit hat Luise keine Zeit, am Tage Kontaktpflege mit den Kundinnen und bis tief in die Nacht fleißiges Nähen. Christian wird zum Hausmann degradiert, erweist sich aber auch dafür nicht als gut. So erinnert man sich an „Gucke“. Gemeint ist das in Oldershausen lebende uneheliche Kind von Luise. Nach der Geburt von Tochter Martha 1901 muß Gucke wieder her, aber jeder hat sie als Kindermädchen anzusehen. Die Freude mit dieser billigen Kraft dauert nicht allzu lange, weil diese Malermeister Krasemann heiraten will. Als die Verlobten eine Veranstaltung besuchen wollen, verweigert Luise die Herausgabe des Hausschlüssels, was zum lebenslänglichen Krach und Verbannung von Gucke führt. Luise ist unerbittlich, wird es aber bald schwer büßen müssen. Christian erkrankt an schwerer Arterienverkalkung, letztlich mit Anstaltsaufenthalt und frühem Tod, und Sohn Walter, von dem noch zu sprechen ist, kommt später aus dem Krieg nicht heim.
Bleiben wir zunächst bei Tochter Martha (4.2), die die höhere Töchterschule besuchen und bei den Geschwistern Topp Kunstgewerbe lernen kann, verliebt sich schon mit 18 in Richard Wöhl. Da er 10 Jahre älter ist, wird er von Luise akzeptiert: „He is wenigstens all drög achter de Uhren.” Das Verlobungshindernis war nur: „Wo nähm wi all denn Zucker her?“. Immerhin ist Richard Abteilungsleiter bei einer Lebensversicherung, doch seine Herkunft gilt bei den Bertrams als niedrig, weil sie sich als erste Schweriner Geschäftsleute fühlen. Schuster ist eben nicht gleich Schuster. In Schwerin pflegt man den Standesdünkel weit mehr als anderswo. Der Hofstaat des Großherzogs strahlt wohl so aus, und die vielen Beamten mit ihren großen Titeln tun ein übriges.
Christians Krankheit beginnt damit, daß er bei Marthas und Richards Hochzeit auf dem Standesamt plötzlich seinen Namen nicht mehr schreiben kann. Er muß sich entschuldigen: “IIck hew mien Brill vergäten”, obwohl er gar kein Brillenträger ist. Der 1911 geborene Sohn Walter ist bei der Hochzeit seiner Schwester erst 10 Jahre. Luise kann sich ihm nicht widmen, denn Christian fällt als Hausmann mehr und mehr aus, während Gucke verbannt ist. So kommt Walter auf das Seminar in Neukloster, wo man Abitur machen und zum Lehrer ausgebildet werden kann. Als er fertig ist, will man keine Lehrer mehr einstellen. Darum lernt er bei der Sparkasse in Parchim und wird später in Schwerin Sparkasseninspektor. Wegen Luises Offiziersvogel muß er freiwillig dienen und wird auch im Krieg noch Oberleutnant, aber Luises Lieblingssohn kehrt nicht mehr heim. Diesen Schmerz verwindet sie nie, doch zu einer Versöhnung mit Gucke kommt es auch am Totenbett nicht. So hart ist Luise. Trotz des Kummers und ihrer unermüdlichen Näherei wird sie 84 Jahre. Dabei hat sie nie Frucht und Gemüse mit Vitaminen angerührt, sondern vorwiegend von Brötchen gelebt, die sie zwischendurch hastig auf ihrer Hintertreppe aß.
Wenn bei Oma Rieke und Opa Wilhelm Schludergeschichten von der Verwandtschaft erzählt wurden, so kann dies im Zusammenhang mit Oma Wiesche nicht anders sein. Da hier mehr Kontakt in der Sippschaft ist als bei den Wöhls, zunächst eine Aufstellung, durch die man die Zusammenhänge sicher besser erkennt:
Die 5 Hinrichs-Geschwister in der Reihenfolge des Alters | |||||
Rudolf | Marie Michel | Wilhelm | Christian (3.3) | Karl | |
deren Kinder | |||||
Martha Siems Alma Redlin | Martha Wöhl (4.2) Walter Hinrichs | Klara Schon Anna Hinrichs | |||
Die 6 Bertram Geschwister und deren Kinder: | |||||
August | Wilhelm | Heinrich | Minna Trilke | Luise (3.4) Hinrichs | Auguste Hinrichs |
Erna Bertram Hans Bertram Anni Kempf | Martha Bertram | Marie Bertram Wilhelm Bertram | Minna Trilke Hedwig | Auguste Krasemann Martha Wöhl (4.2) Walter Hinrichs | Auguste Hinrichs Ludwig Hinrichs Lisbeth Hinrichs Heinz Hinrichs |
Enkel Bruno (5.1) kann seinen Großvater Christian, von Luise Karl genannt, aus eigener Kenntnis kaum charakterisieren. Er erinnert sich, daß dieser Opa zumeist tagsüber an einen Schrank gelehnt geschlafen hat. Eine Unterhaltung gibt es mit ihm kaum, weil man in Oma Wiesches Schneiderstube sein eigenes Wort nicht verstehen kann. Luise kann sich ihrem Mann nicht widmen und gibt ihn in die Anstalt Sachsenberg, wo man Geistesgestörte behandelt, sicherlich so, daß sie bald sterben. Nur einige Monate muß der gutmütige Christian dies erdulden, bis er 1929 mit 62 Jahren stirbt (genauer: gestorben wird).
Luise geht an ihrem Kummer nicht kaputt. Sie ist weiterhin lebenslustig und überall zu finden, “wo de Stiert sick röjt” (wo etwas los ist). Im Vergleich mit Oma Rieke (5.2) ist sie bei weitem nicht so selbstlos, bescheiden und gütig, sondern mehr hartgesotten und egoistisch. Schwiegersohn Richard (4.1) freut sich immer, wenn sie nicht einmal einen Blumenstrauß aus dem eigenen Garten mit anderen, etwa mit Oma Rieke, teilen will. In späteren Jahren wird sie zu einer dicken Kugel. Darum nennt Richard sie „Wrucke“ entsprechend ihrer Rübengestalt, aber sie nimmt es ihm nicht übel. Trotz ihrer einseitigen Ernährung fühlt sie sich bis ins Alter gesund. Nur manchmal kocht sie Pflaumenmus und dann nach dem Rezept „erst Pfund auf Pfund und dann Zucker nach Geschmack nach“. Das ist dann wie eine Bonbonmasse. Zu den Festen bringt ihr die Gutkundschaft Federvieh mit, weil sie so gerne „salkert“, wie sie das Zubereiten des Geflügels nennt. Von den Ärzten hält sie wenig und sagt bei Krankheiten gern: „Dat is von sülbst kamen und geht ok von sülbst wedder weg, un wenn nich, helpt `n köhlen Drunk gegen alls.” Diese Philosophie erweist sich nicht als falsch, denn sie wird 84 Jahre alt.
Mit der lieben Verwandtschaft, die kurz zuvor erläutert ist, ist man eigentlich niemals im Kriegszustand, und man sieht sich des öfteren. Alle Bertramschen sind kaum zu beleidigen und haben etwas Zwingendes an sich, so daß die anderen sich unterordnen. Im eigenen Lager rauft man sich immer wieder zusammen. Zunächst einiges zu den Hinrichsschen Geschwistern: Vom Hoferben Rudolf in Parchim, der den Hof vertrinkt, hörten wir schon. Schwester Marie heiratet einen Korbmacher namens Michel aus Lübz. Sie haben zwei Töchter, Alma und Martha. Alma wird die Frau des Kohlenhändlers Paul Redlin in Lübz, und Martha heiratet den Bahnschlosser Friedrich Karl Siems in Hamburg. Beide Töchter sind so extrem geizig, daß sie ihren Männern weder ein Bier noch die geliebte Zigarre gönnen. Christians Bruder Wilhelm wird Lokomotivführer in Hamburg, heiratet dort. Sie haben zwei Töchter namens Klara und Anna. Klara hat Reformideen, lebt als „Sonnenschwester“ und muß bei einem Besuch bei Richard (4.1) und Martha (4.2) sogar in Milch baden. Ob Martha Grund zur Eifersucht auf Klara hat, weiß niemand so genau. Die Sache erledigt sich bald durch Klaras Heirat mit einem Zahnarzt, mit dem zusammen sie Torfbetten für Säuglinge und ähnliches erfindet. Christians Bruder Karl Hinrichs lebt als Schneider in Parchim und hat ein schlimmes Weib namens Emma, aber keine Kinder. Tante Emma duldet, wie sich Bruno erinnert, keinen Widerspruch und beherrscht alle Tugenden. Bruno darf nicht einmal zusehen, wenn die Alten „Spitz paß auf“ spielen. Das Spiel ist nämlich so aufregend, daß die Spieler selbst nach einigen Spielen einschlafen. Sonst ist Emma gütig, und Else Freund, die sie an Kindesstatt annehmen, hat es gut bei Emma und Karl. Trotz Rückgradverkrümmung heiratet sie. Ihr Beruf ist Putzmacherin.
Wenn nun über Luises Bertram-Verwandtschaft etwas zu arg hergezogen wird, so soll man hierüber nicht vergessen, daß sie im Grunde doch alle rechtschaffene Menschen sind, zwar mit Marotten, aber wer hat die nicht. Beginnen wir mit Luises ältestem Bruder August Bertram, der wie Bruder Heinrich in der Werderstraße ein Haus hat. Er ist der Standeshöchste der Sippschaft und führt den Titel: „Großherzoglich geheimer Oberhof-Kabinettskanzlist“. Wir würden heute sagen, Schreiber und Pflanzenverkäufer in der Schloßgärtnerei. Der hohe Titel verpflichtet natürlich. Zum Leidwesen seiner Frau Frieda ist sein Hobby, auf schöne Mädchenbeine zu schielen und dann durch die Zähne zu pfeifen: „Sss sss“. August ist der schrecklichste Geizhals von den Bertrams. Seine erste Frau Anna hält es nicht aus und nimmt sich das Leben, während er von der zweiten, Frieda, überlistet wird, wenn er partout kein Wirtschaftsgeld herausrücken will. Die älteste Tochter Erna, die Widerspenstige, wird vom Vater verstoßen und bleibt auch später das Enfant terrible der Familie. Hans, der sportliche Regierungsamtmann, der sich selbst bedichtet: „Man gab ihm das Sportabzeichen in Gold …”, labt sich am Bertramschen Erbe der Großmannssucht und Knickerigkeit. Auch seine Frau Erika hat nach einigen Selbstmordversuchen doch Erfolg. Deren ältester Sohn Friedrich wird Arzt, fällt aber im 2. Weltkrieg. Tochter Lieselotte, genannt Lilo, heiratet einen Balten und lebt unauffällig in Wiesbaden zusammen mit ihrer Tante Anni (Kempf). Der jüngste Sohn Arno wird Chirurg und scheffelt als Gutachter viel Geld, das er als Bertram sorgsam hütet. Aus Augusts zweiter Ehe mit Frieda stammt die eben genannte Anni, die den Bahninspektor Kempf heiratet. Er kehrt aus dem 2. Weltkrieg nicht zurück. Darum bleibt Anni bei Lilo. Soweit der Zweig „August“.
Philipp und Maria Bertrams zweiter Sohn heißt Wilhelm. Er wird Postsekretär, zuerst in Schwerin, später in Hamburg, wo er früh stirbt. Dessen Tochter Martha heiratet nach Argentinien. Die Verbindung zu ihr reißt ab.
Mit Philipp und Marias Sohn Heinrich, dem Schuster in der Werderstr. 38, einige Häuser von August entfernt, ist Luises (3.4) Verbindung am engsten. Auch er ist knickeriger Großmann, hat aber einen schönen Baß und singt in der Gesangsriege des Turnvereins, wo seine anderen Familienmitglieder auch tönen und für die Mißtöne zuständig sind. Heinrich heiratet Eleonore, ein “Fierabendskind” der bildschönen Mutter Bolzendahl. Lore sieht wie eine zierliche Rokkoko-Kokotte aus, aber mit Wachtmeisterblick. Sie dirigiert die Familienmitglieder mit Diplomatengeschick gekonnt an die Arbeit: „Heinerich, Du kannst dat so schön!“. Zu den Festen überrascht man sich mit großen Geschenken, die man ohnehin hätte kaufen müssen, also mit einem Anzug oder Mantel o.ä. Man sagt dann stets pathetisch: „Dat is mien Mann mi wiert!“. Bruno (5.1) erinnert sich gern an die zumindest interessanten Geburtstags- und Weihnachtsfeste bei Loring, z.B. wenn man Wermuthwein aus kleinsten Schnapsgläsern trinkt und diese dann kunstvoll mit der Zunge ausleckt. Gekonnt ist vor allem Lores Kuchen; schon die Backzeremonie: “Sied mal all still; ,Mehl‘ hew ick, ,Butter‘ hew ick, ,Zitrone‘ hew ick … . Ach Gott, nu hew ick dat Backpulver vergäten!” Schon wenige Minuten nach dem Genuß des ersten Kuchenstückchens bittet der erste Gast um den Klosettschlüssel, bis schließlich alle unterwegs sind. Bei so viel Gemütlichkeit bekommt schließlich Bruno den Auftrag, den Weihnachtsbaum abzuputzen, wie man hier sagt. “Bruunoo, Du kannst dat so schöön!”, sagt Lore in ihrer langsamen gedehnten Sprechweise. Die Kinder von Heinrich und Lore heißen Maria, genannt Tante Mimi, und Wilhelm, die außer Lore Zielscheibe von Richards (4.1) Spott auf den Festen sind. Er spielt mit Vater und Sohn Skat um 1/10 Pfennig, kann aber beide nur bei Laune halten, wenn er sie gewinnen läßt. Schon 10 Pfennig Verlust würden die Bertrams nicht verkraften. Mimi spielt derweil Klavier: „Blink und blank auf der Gartenbank“ singt sie nach Hermann Löns. Sie arbeitet beim Einwohnermeldeamt und ist es, die später die Verbindung von Annemarie (5.2) und Bruno (5.1) wiederherstellt. Sie ist viel mehr eine Bolzendahl als eine Bertram und hat frappierende Ähnlichkeit mit Altkommunistin Rosa Luxemburg. Leider stirbt sie sehr früh an Lungenemphysem. Doch ihr jüngerer Bruder Wilhelm, der Tunichtgut, wird alt.
Über Wilhelm könnte man ein Buch schreiben. Als Großmann ist er ganz Bertram, auch in der Knickerigkeit, aber in der Dummheit kommt er wohl auf die alte Bolzendahl. Doch ist er durchtrieben und hat Mutterwitz. In seiner Kindheit muß seine Mutter Lore immer sagen: „Willem, du lüchst, di steit dat vör de Stirn schräben!“ Loring kann das leicht feststellen, weil Wilhelm beim Lügen die Mütze bis tief in die Augen zieht. Durch die Volksschule lanziert ihn nicht einmal sein Nachhilfelehrer, Herr Gurk, den Wilhelm oft zur Verzweiflung bringt: „Nee, he (Wilhelms Klassenlehrer) het dat extra seggt, wi hebben nix up, dat het he extra seggt …“ (Anschließend wieder obiger Spruch von Loring). Aber sonst kennt sich Wilhelm aus: „Dieser Hund kriegt bald junge Hünde!“. Schon mit 12 Jahren hat er eine Freundin und ruft aus dem Fenster: “Heute abend um 8 an der Ecke!”. Bei Ausflügen trägt Wilhelm als Kind immer einen Strohhut, eine sogenannte Kreissäge, die dann alle Augenblick mit lautem Klatsch auf das Pflaster fällt, wobei die anderen Kinder nachhelfen. Schwester Mimi bekommt bei solchen Ausflügen immer „Herzweh“, wie sie sagt. Wilhelm, der infolge von Polypen stark näselt, versucht sich nach erfolgloser Schulzeit genau so erfolglos in mehreren Berufen. Als Kaufmannslehrling geht es nicht gut. Und nicht einmal als aktiven Soldaten können sie ihn gebrauchen. Das will schon etwas heißen. So landet er bei seinem Vater Heinrich auf dem „Schosterhüker“. Man läßt die Weltfirma in „Bertram und Sohn“ umschreiben. Bald kommt der zweite Weltkrieg, und Wilhelm wird zum Militär eingezogen. Jetzt zeigt er, was wirklich in ihm steckt: Sich anschmieren, blenden und aufschneiden. So schafft er es, zu dem ebenfalls eingezogenen Baurat Klatt, Richards (4.1) Chef im Landeswirtschaftsamt, in die Schreibstube zu kommen. Darum landet er nach beendetem Heldentum durch Klatt als gewichtiger Bürokrat bei Richard (4.1) im Amt trotz schwachem ABC und Einmaleins. Unverdient bekommt Wilhelm eine nette Frau, Marta Kröpelin, bis nach einigen Jahren der Tag kommt, an dem Wilhelm Massagen verordnet bekommt. Aber man weiß nicht, ob die Masseuse, eine Baltin namens Imogen, ihn an der falschen Stelle massiert hat, oder wieso sonst Imogen von Wilhelm ein Kind erwartet. Wilhelm läßt sich wegen Gefühlskälte von seiner netten Frau scheiden, wird bald aus dem Staatsdienst entlassen, versucht es mit Würstchenhandel auf der Straße und geht nach neuem Mißerfolg aufs ganze: Er klaut die Gewerkschaftskasse und flüchtet mit Imogen nach Ludwigsburg in den Westen. Heinrich stirbt kummererfüllt. Wilhelms geschiedene Frau Marta pflegt noch ein paar Jahre die leidende Eleonore.
Minna heißt Philipps und Marias viertes Kind, wieder eine echte Bertram. Es erübrigt sich wohl zu wiederholen, was darunter zu verstehen ist. Sie heiratet Malermeister Trilke in der Johannesstraße in Schwerin. Sie haben eine Tochter Hedwig. Ihr Schwiegersohn erinnert sich an Minnas bombastische Worte: “Ich lege dieses Kleinod (gemeint ist Hedwig) vertrauensvoll in Ihre Hände.” Mit Luise haben die Trilkes wenig Kontakt.
Die letzte und jüngste der Glanzrabentöchter, Auguste, ist in ihren Bertrameigenschaften nicht die geringste. Sie heiratet einen Hinrichs, der aber mit Christian nicht verwandt ist, sondern zu der sogenannten Dallberger Linie gehört. Sein Neffe wird später einmal Brunos (5.1) Amtsvorsteher in Waren (Müritz). Er wird Bruno in der Beamtenbeurteilung einmal bescheinigen, daß er aufsässig und widersetzlich ist, was wohl sogar zutrifft. Doch zurück zu Tante Guste, die mit ihrer Familie in Wismar, Dahlmannstr.18 wohnt. Wie eine Geschäftsfrau ersten Ranges vermietet sie einige Zimmer an arme Studenten, “Akas” genannt. Sie beköstigt sie auch und nimmt sie nach Strich und Faden aus. Diese müssen sogar ihre Fressalienpakete, die sie von Zuhause bekommen, an Guste abliefern und werden obendrein noch zu häuslichen Arbeiten eingeteilt. Doch das Schicksal setzt den Hobel an … Sohn Ludwig, genannt Louis, „hett blot Bucksbütelien in’n Kopp“. Wenn seine Mutter arme „Akas“ ausplündert, warum soll Louis nicht auch klauen und betrügen. Doch er ist noch vielseitiger und beginnt seine Karriere schon als Kind als Feuerleger und übt später einen mehr seinem Kosenamen entsprechenden Beruf aus, soweit er nicht zu brummen hat. Wie dicht alles beieinander liegt, zeigt Heinz, Gustes zweiter Sohn, der ganz und gar nicht kriminell wird, sondern der gefürchtetste Rechtsanwalt der Gegend von nicht zu überbietender Rigorosität. Er geht „bertramgerecht“ über Leichen. Äußerlich gleicht er einem “Uhlenküken” und wird wohl darum nicht alt. Nicht zu vergessen ist Tochter Elisabeth, die eine Lehrerin wird und was für eine; eine hemmungslose Egoistin mit nicht zu bremsenden Redefluß. Nur gegen Richard (4.1) hat sie keine Chance. Sobald ihr nach Stunden die Worte auszugehen drohen, stellt er die Frage nach dem Anfang. Sie wiederholt es treu und brav, sooft „Pipi“ es anregt, bis seine Frau Martha dem Zusammenbruch nahe ist. So bleibt „Pipi“ stets Sieger, und Lisbeth fühlt sich bestätigt und hält Richard für den interessiertesten Menschen. Er lacht innerlich darüber und nimmt keinen der Bertrams allzu ernst.
Jeden Monat wiederholt sich dasselbe Schauspiel um die Hausmieten, die Luise kassiert und an Richard als Hausverwalter übergeben muß, aber sich nach Bertramscher Art nicht vom Geld trennen kann. Da wird dann tagelang gefeilscht: „Nee, hüt hew ick keen Tid dorför.“ … ”Nee, hüt hew ick keen lütt Geld.” … “Nee, hüt künn ick noch nich wesseln gahn.” … „Nee, hüt middag har de Sporkass to.“ … „Nee, hüt künn ick nich afsluten, wil Kerfaksch saubermaken wull.“ … ”Nee, nu möt ick ierst töben, bat de Dackdecker hier west ist un sien Räknung kassiert.” usw. usw. Richard wird nicht böse, sondern macht jedesmal einen dummen Witz mit „Wrucke” bis sie sich geschlagen gibt, aber nur bis zum nächsten Mal.
Luise ist im Grunde sehr häßlich. Sie schaut gern über den Spion am Wohnzimmerfenster die Straße entlang. Alle Passanten werden dann trotz der eigenen Visage in Grund und Boden verdammt: „Nee, wenn ick sonn Gesicht har, wür ick mi `n Büx röwer trecken.“ Die meiste Kritik verwendet sie auf die ledigen Mütter, deren Fehltritt sie – als Mutter von Gucke – überhaupt nicht verstehen kann (Den Splitter beim andern sehen, nicht aber den Balken im eigenen Auge!).
Bei allem ist nicht zu übersehen, daß Luise unermüdlich bis zu ihrem Lebensende mit 84 Jahren näht gegen Lebensmittel als Entgelt, mit denen sie die ganze Familie in der schlechten Nachkriegszeit ernähren hilft. Dafür ein großes Lob!