1.1.1946 Brief von Lotte an Annemarie

Lotte ist wohl eine Arbeitskollegin von Annemarie, mit der sie am Kriegsende von Stettin nach Thüringen geflohen ist.

Lauenhain den 1.1.1946
Meine liebe Annemarie!
Nach langer Zeit erhielten wir gestern das erste Lebenszeichen von dir. Du Annemarie, wie ich auf deine Zeilen gewartet habe, das stellst du dir nicht vor. Wir glaubten schon, wir würden nie mehr etwas von dir hören. Sonnenschein hast du mir mit deinen Zeilen in mein Herz gebracht. Liebe Annemarie, aber umso größer ist die Sehnsucht nach dir. Denn auch mir ist es wie dir ergangen. Überall hast du mir gefehlt. Es war einfach nicht mehr schön, als du weg warst. Nun will ich dir kurz die Ereignisse von der Zeit, seit du weg bist, mitteilen. Jener Samstag, an dem du weg gingst, war uns allen ein grauer Tag. Als ich von der Grenze zurück kam, musste ich feststellen, dass uns allen der Abschied von dir schwer gefallen ist. Am Sonntagvormittag war ich der festen Überzeugung, dass du nicht mehr zurück kommst und so machte ich mich an die Arbeit, dein Zimmer aufzuräumen. Abends um 6 Uhr kam ein amerikanisches Auto mit Offizier bei uns an und teilte uns mit, dass in einer Stunde ein Zimmer und vier Betten für acht Soldaten zurecht gemacht sein muss. Was tun, meine Eltern mussten in dein Zimmer ziehen. In das Zimmer von meinen Eltern kamen noch zwei Betten und auch das war gelöst. Schon gingen wir an den Soldaten

vorüber, die ersten Tage. Aber bald merkten wir, dass sie gut zu uns sind, und Schutz für uns bilden sollen, …b der Russe an die Grenze gekommen ist, die ja wie du weißt nur 10 Minuten von uns entfernt ist. Es war Infanterie, die da gekommen ist, nach acht Wochen wurden diese durch Panzer abgelöst, an der Reichenbacher Straße wurden Zelte gemacht, das waren drei Posten, zusammen 12 Soldaten. In H..platz wurde ein großer Benzinofen auf gestellt und ein Soldat musste für drei Posten kochen, die vorhergehenden wurden von Ludwigstadt verpflegt. Wieder vergingen einige Wochen, dann kam Artillerie auf Posten. Vor einer Woche kam abermals Infanterie. Diese bekam ein Postenhaus unterhalb von unserem Haus aufgestellt, worin sie sich selbst kochen und auch schlafen können. Das war immerhin etwas aufregend die ganze Szene, zumal für Mutter. Nun davon genug.
Am 19. Juli wurde die kleine Giesela geboren. Gott sei dank ist soweit alles gesund. Es wird schon ein niedliches Ding, meine kleine Patin. Auch Herr Wiese ist gesund zu seiner Familie zurückgekehrt. Nach einigen Wochen machten sie sich auf und gingen nach Hamburg zurück, leider mussten sie Möbel und alles zurücklassen, wie das einmal nach Hamburg kommen soll, weiß ich nicht. Den Brief, den du an Wiesnes geschrieben hast, werde ich ihr im nächsten Brief beilegen. Nun möchtest du genau wissen, ob ich in Bayreuth gewesen bin. Nein, Annemarie, Hans ist bei mir gewesen, ganz unverhofft, kam er an einem Samstagnachmittag mit seinem Freund mit dem Fahrrad an.

Es muss wohl Ende September gewesen sein. Ich habe mich gefreut, dass er endlich gekommen ist. Und liebe Annemarie ich kann dir doch ganz im Vertrauen sagen, ich war die zwei Tage die er bei mir war glücklich mit ihm und hatte das Gefühl, dass auch Hans glücklich ist. Er versprach mir, in vier Wochen zurück zu kommen und mich für einige Tage in seine Heimat zu holen und auf jeden Fall so bald als möglich zu schreiben. Und denke mal, habe bis jetzt noch keine Nachricht von ihm. Vor drei Wochen schrieb ich an ihn, er möchte doch so gut sein und mir wenigstens bis Weihnachten Nachricht geben, ganz gleich wie seine Entscheidung fällt. Aber auch das blieb aus, was ich denken soll, weiß ich nicht. Ich werde nie mehr etwas von ihm hören. Freudlos gingen die Weihnachtsfeiertage an mir vorüber. Zum

am 31.12. erreichte mich dein Brief. Ich danke dir für deine Aufmerksamkeit. Du meinst also einen netten Mann für mich gefunden zu haben. Liebe Annemarie du kennst ja mich und kennst unsere Gegend, wenn du meinst, dass dieser Mann Interesse davon hat, mich kennen zu lernen, dann kann er doch mal an mich schreiben. Wenn die Grenzen offen sind, könnt ihr doch auch zusammen zu uns kommen, oder hast du vor, nicht mehr zu uns zu kommen? Wenn nur die Grenzen einmal offen wäre. Von Brigitte haben wir noch nichts gehört, möchte nur wissen, wo die sich rumtreibt. Die Lauenhainer Jungens sind alle noch die Alten, sie haben mich schon öfter nach dir gefragt, besonders Walter, ich werde ihm Grüße von dir bestellen. Wenig hast du eigentlich von dir selbst geschrieben.

Hast du denn deinen Eltern schon mitteilen können, wo du dich befindest oder ist deine Mutter immer noch ohne Nachricht von dir. Dass es mit der Versorgung in der russisch besetzten Zone schlecht ist, weiß ich von Mutters Schwester in Probstzella. Wir denken jeden Sonntag, wenn wir Klöße essen an dich. Denk dir mal Annemarie, ich bin schon mal über die Grenze gegangen vor ungefähr 8 Wochen, bin hingegangen zum Posten und hab gesagt: ich will nach Probstzella und bin in zwei Stunden wieder zurück, und durfte tatsächlich gehen, aber jetzt ging ich nicht mehr. Sonst hab ich nichts Neues zu berichten, hoffe nur, dass ich bald wieder etwas von dir höre, bin ja auch so gespannt auf meine neue Bekanntschaft.
Sei vielmals gegrüßt von deiner Lotte nebst Eltern und Mutter